Der Ausgangspunkt des Projekts war die Frage: Was passiert eigentlich beim Lesen, und wie funktioniert es?
Obwohl es sich bei diesen Fragen um die Basis der Leseförderung handelt, finden sie in der öffentlichen Diskussion nur wenig Beachtung. Wenn man aber einmal verstanden hat, von welch fundamentaler Bedeutung das Lesen sowohl für den einzelnen Menschen wie auch für das gesellschaftliche Leben unserer Tage ist, erklärt sich, wie wichtig der Einsatz für die Lesekultur ist.
Zumal mit der sinkenden Bereitschaft, zu lesen, unsere Kulturlandschaft in weiten Teilen bedroht ist. Wer keine Bücher liest, der geht auch nicht ins Theater, Konzert oder Museum, selbst das Kino verzeichnet schwere Publikumseinbrüche, nachdem sich bei vielen Menschen eine Abkehr von den traditionellen Medien vollzogen hat.
Tatsächlich stellt das Lesen eine Überlebenstechnik dar. Die jüngsten Erkenntnisse der Anthropologie und der Neurologie belegen, dass die Fähigkeit des Lesens sowohl den Erfolg der Gattung sicherte, als auch einen zentralen Bestandteil der Individualentwicklung darstellt. Dieser Prozess beginnt mit dem Lesen in Gesichtern und setzt sich fort im Prozess der Sinnstiftung über dem Geschichtenerzählen, bis die Fähigkeit erworben wird, mit Texten und Bildern umzugehen. Auch Bilder sind Texte, die gelesen werden wollen.
Entscheidend ist, dass wir durch das Lesen analytisches Denken und einen Großteil unseres Gefühlslebens erwerben. Leser besitzen ein anderes Weltverständnis, sie empfinden ihr Leben als reich, und es stellt sich die Frage,woraus sich ihre Neugierde auf Menschen und Dinge speist. Eine Entwicklungslinie, die sich vom Kind bis ins Alter erstreckt, und die zeigt, dass sich Leser auch körperlich anders entwickeln.
Konkret lässt sich beobachten, wie mit dem Verlust des Lesens und der gleichzeitigen Dominanz der Bildmedien neue Formen von Gewalt entstehen.
Man kann aber auch beobachten, wie das Lesen als wirkungsvolles Instrument gegen körperliche Gewalt funktioniert.
Interessant sind die Unterschiede im Leseprozess gedruckter Texte und elektronisch verarbeiteter Informationen.
Es gibt viele Fragen mit oftmals überraschenden Antworten. Die Bedeutung von Stimme und Blick für das Lesen ist ebenso fundamental wie die physiologischen Veränderungen, die mit dem Lesen einsetzen. Warum spüren wir schon als Säuglinge Motiven nach, wie entsteht daraus Erkenntnis, und wie werden wir zu einer Person?
Dem Nutzen der Langeweile wird nachgespürt und der Frage, wie das Lernen an Beziehungen geknüpft ist.
Auch wenn es sich bei den Prozessen des Lesens um innere Prozesse handelt, so können wir sie doch von außen beobachten. Anschaulich finden sie sich in Bildern, Fotografien und Illustrationen dokumentiert, stets hat dieses Phänomen Künstler und Fotografen beschäftigt. So besteht die Veranstaltung „Lesen, eine Überlebenstechnik“ aus einer kommentierten Bilderschau, in der das Lesephänomen konkret im Bild beobachtet und erklärt wird.